Tag unbekannt - Transition
"Already pulling me in
Already under my skin
And I know exactly how this ends, I
Let you cut me open just to watch me bleed
Gave up who I am for who you wanted me to be"
Mein Zeitgefühl ist längst verschwunden. Wie viele Tage oder Wochen meiner Gefangenschaft bereits vergangen sind, weiß ich nicht. Weder kenne ich meinen Aufenthaltsort, noch habe ich ein Gespür für die Zeit, die in dieser Zelle vergeht. Wenn es der Plan meiner Entführer war, mich in Ungewissheit zu zermürben, dann haben sie Erfolg. Doch ich werde ihnen nicht den Gefallen tun, mich brechen zu lassen.
Kälte, Hunger und Durst sind meine ständigen Begleiter, ebenso die bedrückende Stille. Kommunikation gibt es nur über kurze, notdürftige Nachrichten, die sie in das gelbe Fass legen. Worte, die kaum mehr sind als ein Echo in der Stille, die mich umgibt. Echte Gespräche? Fehlanzeige. Sie reden nicht mit mir, sie befehlen.
Gestern Nacht - oder was ich dafür halte - wurde die drückende Stille jäh durch das Aufspringen der Tür zerrissen. Chuck kam herein, eine MKII in der Hand. Er richtete die Waffe auf mich und wies mich barsch an, mich mit dem Rücken an das Gitter zu stellen. Ich wusste, was nun folgen würde, denn ich sah das kalte Aufblitzen der Handschellen in seinen Händen, funkelnd wie sein Blick. Widerstand war zwecklos, also gehorchte ich.
Die Handschellen schlossen sich kalt und erbarmungslos mit einem metallischen Klicken um meine Handgelenke. Der Schmerz und die Enge machten jede Bewegung unmöglich. Ein Schalter schien sich in meinem Kopf umzulegen: Ruhe bewahren. Stärke zeigen. Doch diese Leitsätze verblassten angesichts der absoluten Hilflosigkeit, die mich überkam. Panik stieg in mir auf, ich kämpfte sie nieder, doch mein Körper schien gegen mich zu rebellieren.
Nachdem Chuck mich gefesselt hatte, öffnete er das Tor und trat in meine Zelle. In der Hand trug er einen alten, kratzigen Jutebeutel. Mir stockte der Atem. Offenbar war es nicht genug, mich zu fixieren – er wollte mir jede Möglichkeit nehmen, meine Umgebung wahrzunehmen. Die Panik, die ich bis dahin nur mit Mühe in Schach gehalten hatte, übermannte mich in diesem Moment vollends. Doch statt zu schreien oder laut loszuheulen, vergrub ich die Angst in mir und versank in einer stillen Dunkelheit. Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen, als sähe ich die Szenerie von außen, distanziert und ohne Einfluss.
Chuck führte mich durch das Treppenhaus. Seine Stimme, seine Befehle hallten in meinem Kopf wider, doch sie schienen weit entfernt. Mehrmals drohte ich zu stolpern, und wenn ich aus dem Tritt kam, brachte er mich durch gezielte Schläge wieder auf Kurs. Wie ich diesen Spießrutenlauf überstanden habe, weiß ich nicht. Doch irgendwann spürte ich die kalte Luft auf meiner Haut. Draußen. Freiheit – nur einen Atemzug entfernt. Doch es war eine trügerische Illusion. Schließlich spürte ich plötzlich den kalten Wind auf meiner Haut – wir waren draußen. Chuck zog mir den Sack vom Kopf, und ich erblickte zum ersten Mal den Ort meiner Gefangenschaft: Novodimitrovsk. Bisher hatte ich immer nur verwirrt und fliehend einen Blick auf die Stadt geworfen, aber nun, da ich auf dem Marktplatz stand, war mir die Sache klar.
Der Wind heulte durch die verfallenen Gebäude, das Echo entfernter Schüsse mischte sich mit dem Jaulen der Wölfe. Ich wurde in ein Auto gezwungen. Ich wollte mich weigern, zerrte verzweifelt an meinen Fesseln – doch Chuck bestrafte meinen Widerstand mit einem harten Schlag seiner MKII. Der Schmerz durchzuckte meine Arme, und ich sackte zusammen. Schließlich ergab ich mich meinem Schicksal. Ich war ihm ausgeliefert und ich war machtlos.
Warum sie mir den Sack abgenommen hatten, war mir unklar. Vielleicht, weil dieser Ort keine Rolle mehr spielen würde. Oder es war einfach nur Hohn – ein weiterer Moment, in dem sie mich glauben lassen wollten, ich hätte die Kontrolle verloren. Ein düsterer Verdacht schlich sich in meine Gedanken: Sie haben nicht vor, mich jemals wieder freizulassen.
Die Fahrt ging durch die Nacht, und trotz der Angst und Anstrengung muss ich vor Erschöpfung eingenickt sein. Erst im Morgengrauen kamen wir am Ziel an. Man führte mich in einen heruntergekommenen Häuserkomplex, und ich sah ein weiteres improvisiertes Gitter, errichtet aus Brettern und Baumstämmen. Es diente als Tor und war mit Zahlenschlössern gesichert. Chuck stieß mich unsanft in die neue Zelle, schloss das Gitter ab und wies mich erneut an, mich mit dem Rücken an die Gitterwand zu lehnen. Er löste die Handschellen, und die Erleichterung war greifbar, als das Blut wieder in meine tauben Hände strömte. Dankbar rieb ich meine Handgelenke, bevor sich die Tür hinter mir mit einem letzten, endgültigen Geräusch schloss.
Hier sitze ich nun – in einer Zelle, kleiner als die letzte, doch immerhin gibt es hier ein Bett und es scheint etwas wärmer zu sein. Das gelbe Fass steht wieder vor mir, grinst mich hämisch an, und ich weiß, dass sie erneut Blutspenden von mir erwarten. Die Realität meiner Situation wiegt schwer. Sie werden mich nicht freilassen. Und doch… vielleicht haben sie einen Fehler gemacht. Vielleicht gibt es Hoffnung. Vielleicht hat jemand meine Verlegung bemerkt. Vielleicht hat jemand unsere Fahrt verfolgt.
Ich klammere mich an diesen Gedanken. Hilfe wird kommen. Sie muss kommen.
Auch wenn ich schwach bin, kann ich nicht aufgeben. Wenn ihr mich hören könnt, wenn noch Hoffnung besteht – bitte, findet mich. Ich kämpfe weiter, solange ihr es auch tut.